ARCHIV – 12.11.2015, Nordrhein-Westfalen, Herne: Eine Frau sitzt in einem Frauenhaus auf einem Bett. Frauenhäuser bieten Schutz, wenn der Partner zur Gefahr wird. Die FDP-Politikerin Sandt warnt nun vor einer Regelungslücke: Frauen, die nicht im häuslichen Rahmen gefährdet sind, fallen durchs Raster – etwa wenn Stalker, Nachbarn oder Zuhälter die Täter sind. (ILLUSTRATION zu dpa «Regelungslücke: Frauenhäuser weisen Opfer nicht-häuslicher Gewalt ab») Foto: Maja Hitij/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter. Übergriffe finden jeden Tag und in allen Lebensbereichen statt – am Arbeitsplatz, in der Freizeit, aber besonders häufig in der Partnerschaft und den eigenen vier Wänden. Um Frauen wirksam vor häuslicher Gewalt zu schützen und Gewaltbetroffene bestmöglich zu unterstützen, braucht es Anlaufstellen. Wir stellen fünf davon vor. Heute: der Verein „Frauen helfen Frauen“.
Frau Fränzen, Sie sind die Geschäftsführerin des Vereins, der 2022 sein 40-jähriges Bestehen feiert. Wie kam es 1982 zu dessen Gründung?
Petra Fränzen: Damals war das ein loser Verbund von Frauen der autonomen Frauenbewegung. Sie haben Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung empfunden. Manche von ihnen haben betroffene Frauen in ihre Privatwohnung mitgenommen, um Schutz zu bieten. Daraus entstand die Idee, einen Verein zu gründen, um ein politischen und gesellschaftliches Zeichen zu setzen. Das Startkapital betrug damals gerade mal 5000 D-Mark.
Wie viele Mitarbeiter hat der Verein heute?
Vier Sozialpädagoginnen arbeiten in der Fachberatungsstelle Häusliche Gewalt und Stalking, 20 im Frauenhaus, und drei Frauen sind für die Verwaltung zuständig. Und dann gibt es noch einen Hausmeister, der einzige Mann in unserem 27-köpfigen Team.
Wie finanziert sich die Einrichtung?
Das Frauenhaus wird über den Tagessatz vom Kreis finanziert. Für die mobilen Beratungstellen gibt es Zuschüsse vom Land. Mit etwa 200 000 Euro jährlich unterstützen uns Spender und Sponsoren wie Lions Club, Zonta und Firmen. Nicht zu vergessen, die Mitglieder-Beiträge und Bußgelder, die wir von der Stadt erhalten.
Wer wendet sich an Sie und Ihre Mitarbeiterinnen?
Frauen, die in welcher Form auch immer von Gewalt betroffen sind und Hilfe brauchen. Sie kommen aus allen Schichten der Gesellschaft zu uns, unabhängig von Bildungsniveau, Einkommen oder sozialer Herkunft der Beteiligten. Selbst Frauen von, Unternehmern, Polizisten und EU-Beamten sind darunter.
Was sind die häufigsten Probleme?
Körperliche und psychische Gewalt; oft werden die Frauen auch in einer großen Abhängigkeit gehalten, dürfen keine Sozialkontakte pflegen, haben keinen Kontozugriff. Wenn sie sich trennen wollen, wird ihnen häufig gedroht, dass sie die Kinder dann verlieren, das ist ein enormes Druckmittel.
Wie helfen Sie den Ratsuchenden?
Ambulant durch intensive Beratungsgespräche und Begleitung beispielsweise zum Rechtsanwalt oder zu einer anderen Beratungsstelle. Wenn die Frau und ihre Kinder dringend einen Schutzplatz brauchen, nehmen wir sie im Frauenhaus auf. Es hängt immer davon ab, was die jeweiligen Frau benötigt. Die Betroffene bleibt aber immer Herrin ihrer Entscheidungen.
Wie lange in der Regel begleiten/betreuen Sie die Personen, die zu Ihnen kommen?
Ambulant benötigen die Frauen im Durchschnitt vier Monate Begleitung. Im Frauenhaus bleiben Betroffene zwischen drei bis sechs Monate, manchmal auch länger. Da wir nur 20 Plätze haben, werden manche Frauen im Akutfall auch im Notfallplatz untergebracht
Wie viele Hilfesuchende kommen im Jahr zu Ihnen?
Seit 1983 wurden fast 2000 Frauen und etwa gleich viele Kinder im Frauenhaus Ortenau aufgenommen. Weitaus mehr Frauen fanden Begleitung in der ambulanten Beratung. Vor Corona wurden mehr als 400 Frauen beraten. Im Coronajahr ist die Zahl nochmal deutlich gestiegen auf rund 500 Fälle, und auch dieses Jahr werden wir diese Zahl erreichen.
Können Sie allen helfen, die sich an Sie wenden?
30 Prozent der Hilfesuchenden gehen wieder zurück zum Partner. Geben ihm noch eine Chance, weil die Versprechungen von seiner Seite aus groß sind. Aber ich bezweifle, dass sich ohne Eheberatung oder Täterbegleitung etwas an der häuslichen Situation ändert. Der Großteil aber, der uns verlässt, geht seinen eigenen Weg. Dabei entwickeln manche Frauen eine gewisse Stärke, wo auch wir von unserer Seite aus Grenzen ziehen müssen.
Stellen Sie einen Wandel fest, was das Gewaltthema betrifft?
Früher waren die Frauen froh, fast demütig, wenn ihnen geholfen wurde. Heute sind sie eher im positiven Sinne rebellisch, stellen sich und ihre eigenen Bedürfnisse in den Fokus. Dabei ist man manchmal verwundert, welche Stärke sie entwickeln, um für sich einzustehen. Was das Thema Gewalt generell betrifft, bin ich nicht so hoffnungsfroh. Gewalt wird es immer geben, so lange Frauen weniger wert sind wie Männer. Das ist ein gesellschaftliches Problem. Zumindest erreichen wir mehr Frauen, wenn wir dieses Problem aus der Dunkelheit ans Licht ziehen.
Kommen Übergriffe von Männer auf die Mitarbeiterinnen oder das Haus vor?
Unserer Mitarbeiterinnen arbeiten anonym. Wenn sie telefonieren, dann nur mit unterdrückten Nummern. Daher sind sie relativ sicher. Auch die Adresse des Frauenhauses ist geheim. Mir ist nur ein Fall bekannt, dass ein Mann mit mehreren Freunden angerückt ist, als er zufällig seine Frau entdeckt hat. Da die Polizei uns aber vorrangig behandelt, war das Problem schnell gelöst.
Wie weit erstreckt sich das Hilfsangebot – regional gesehen?
Wir haben ein Alleinstellungsmerkmal in der Ortenau. Die mobilen Teams sind im ganzen Kreis unterwegs und beraten etwa im Frauen- und Familienzentrum Kehl.
Arbeiten Sie auch mit anderen Einrichtungen zusammen?
Wir haben uns in den 40 Jahren Tätigkeit sehr gut aufgestellt und sind dadurch gut vernetzt mit anderen Einrichtungen und Anlaufstellen wie Aufschrei, Kommunale Arbeitsförderung (KOA), Wohnungslosenhilfe und vielen mehr. Dadurch haben wir einen hohen Bekanntheitsgrad in der Region und können im Gegensatz zur Polizei niederschwellig helfen.
Wie werden Sie sich am Aktionsmonat November beteiligen?
Wir werden an der Sternwanderung am Donnerstag, 25. November, in Richtung des Kehler Einkaufscenters teilnehmen. Zudem finden Präventionsmaßnahmen unter dem Stichwort „Herzklopfen“ mit unseren Beraterinnen an Kehler Schulen statt. Damit sollen junge Frauen frühzeitig für das Thema sensibilisiert werden.